Manches klingt zu gut, um wahr zu sein. Rewilding ist so eine Sache. Wenn wir die Natur einfach machen lassen, kann sie uns CO2 aus der Atmosphäre entziehen, Raum für Artenvielfalt schaffen und die Folgen des Klimawandels abmildern. Die Frage ist nur: Wie können wir mehr rewildern?
Was ist Rewilding?
Rewilding beschreibt die großflächige Wiederherstellung von Ökosystemen bis zu dem Punkt, an dem die Natur für sich selbst sorgen kann [1]. Beim so genannten passiven Rewilding überlässt man die Natur in einem bestimmten Gebiet einfach sich selbst. Beim aktiven Rewilding wird bei der Entwicklung des Ökosystems nachgeholfen, indem z.B. Tiere ausgewildert, unerwünschte Arten entfernt oder bestimmte Landschaften geschaffen werden.
Für das Rewilding gelten die drei Prinzipien „Cores, Corridores and Carnivores“. Es soll Kernzonen ohne menschliche Eingriffe geben, die Kernzonen sollen durch Korridore verbunden werden, um einen genetischen Austausch der Tiere zu ermöglichen, und die Population der Pflanzenfresser soll durch die Auswilderung von Raubtieren kontrolliert werden [2].
Im Gegensatz zu den heute bereits weit verbreiteten Formen von Naturschutzgebieten wird beim Rewilding versucht, die notwendigen menschlichen Eingriffe so gering wie möglich zu halten. In klassischen Naturschutzgebieten muss z.B. oft gejagt werden, damit die Wildtiere nicht alle nachwachsenden Bäume fressen. In einem Rewilding-Wald könnte man dagegen versuchen, Wölfe anzusiedeln, um ein Ökosystem zu schaffen, in dem die Wildtierpopulationen auf natürliche Weise kontrolliert werden.
Außerdem können beim Rewilding im Gegensatz zu klassischen Naturschutzgebieten gezielt ganz neue Ökosysteme mit ganz neuen Tieren, Pflanzen und Landschaften geschaffen werden.
Warum ist Rewilding besser als klassische Naturschutzgebiete? Manche Gruppen verbinden mit „Wildnis“ romantisierende Vorstellungen. Wildnis wird oft als magischer Ort imaginiert, der “Heilung” von vermeintlichen Fehlentwicklungen der modernen Welt verspricht. Das mag nicht stimmen, und beim Rewilding geht es um etwas anderes: Die Erde gehört uns nicht allein. Alle Lebewesen haben ein Recht auf einen Platz auf diesem Planeten. Und für viele Arten muss dieser Platz vor allem eines sein: unberührt vom Menschen. Deshalb ist Rewilding ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Biodiversität [3].
Warum Rewilding?
Eine ganze Menge Argumente sprechen dafür, dass wir möglichst viel Fläche rewilden:
- Ökologische Vielfalt: Durch gezieltes Ökosystemdesign können wir die Widerstandsfähigkeit gegenüber klimatischen Bedingungen oder Katastrophen deutlich erhöhen. Wir können zum Beispiel trockenheitsresistentere Arten ansiedeln oder das Ökosystem so vielfältig gestalten, dass es spezialisierten Schädlingen schwerer fällt, Fuß zu fassen.
- Resilientere Ökosysteme: Gesunde Ökosysteme sind Infrastrukturen wie Dämme, Kläranlagen oder Parks. Für uns Menschen haben sie einen immensen Wert: Ökosysteme produzieren unseren Sauerstoff, reinigen Luft und Wasser, regulieren lokale Temperaturen, schützen uns vor Trockenheit oder Überschwemmungen oder dienen als Inspiration und Erholungsraum. So profitieren auch wir Menschen von einer gesünderen und vielfältigeren Umwelt.
- Ökosystemdienstleistungen: Gesunde Ökosysteme sind eine Infrastruktur wie zum Beispiel ein Damm, eine Abwasseraufbereitung oder ein Parkanlage. Immerhin haben sie immensen Wert für uns Menschen: Ökosysteme erzeugen unseren Sauerstoff, reinigen Luft und Wasser, regulieren lokale Temperaturen, schützen uns vor Dürre oder Hochwasser oder dienen als Inspiration und Ort der Entspannung. Auf diesem Weg werden auch wir Menschen von einer gesünderen und vielfältigeren Umwelt profitieren.
- Kohlenstoffspeicherung: Böden und Pflanzen in Ökosystemen können große Mengen Kohlenstoff speichern. Lässt man beispielsweise auf ehemaligen Ackerflächen einen Wald wachsen, dann wird Kohlenstoff in den Bäumen und dem Waldboden gebunden und gespeichert.
- Wirtschaftliche Nutzen: Rewildingprojekte können den Tourismus in einer Region fördern und Arbeitsplätze in der lokalen Bevölkerung schaffen.
Warum wird nicht mehr Fläche rewildet?
Die EU hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 30% der Land- und Meeresflächen zu renaturieren [4]. Edward O. Wilson geht in seinem Buch „Half Earth“ noch viel weiter und fordert, dass wir Menschen die Hälfte der Erdoberfläche wieder der Natur überlassen sollten [5]. Diese Idee hat bei Klima- und Umweltschutzorganisationen großen Anklang gefunden. Auch aktuelle Umweltinitiativen wie RePlanet unterstützen diese Forderung [6].
Es wäre also für den Planeten und alle seine Bewohner äußerst sinnvoll, möglichst große Flächen wieder zu verwildern. Leider ist dies in Europa nicht so einfach, da Europa relativ dicht besiedelt ist und sich ein Großteil der Flächen in Privatbesitz befindet.
Um mehr Flächen rewildern zu können, müssen also einerseits Flächen frei und ungenutzt sein. Derzeit wird ein großer Teil der vom Menschen genutzten Fläche von der Landwirtschaft genutzt.
Es gibt jedoch vielversprechende Innovationen und Trends hin zu einem immer geringeren Flächenverbrauch durch die Landwirtschaft. Der wichtigste Faktor für einen geringeren Flächenverbrauch ist die Menge der konsumierten tierischen Produkte. Es gibt jedoch einen anhaltenden Trend zu immer geringerem Fleischkonsum und immer bessere Fleischalternativen werden entwickelt. Durch Präzisionslandwirtschaft, Gentechnik, Blue Farming und andere Innovationen kann die Effizienz der Nahrungsmittelproduktion weiter gesteigert werden. Dadurch wird immer weniger Fläche für die Landwirtschaft benötigt, die wir dann der Natur zurückgeben können.
Andererseits müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen, damit ein Akteur eine Fläche rewildern kann. Ein solcher Akteur kann ein Verband, der Staat oder eine Privatperson sein. Es liegt in der Verantwortung des jeweiligen Nationalstaates, einen geeigneten rechtlichen Rahmen zu schaffen. Denkbar sind Aufkaufprogramme, Pachtprogramme oder individuelle Zahlungen für erbrachte Ökosystemleistungen.
Fazit
Beim Rewilding geht es darum, funktionierende natürliche Ökosysteme zu schaffen, die mit einem Minimum an menschlichen Eingriffen erhalten bleiben. Man kann zum Beispiel ein Gebiet sich selbst überlassen oder bestimmte Tiere auswildern, die dann eine charakteristische Landschaft entstehen lassen.
Rewilding ist gut für die Natur und auch für den Menschen.
Die größten Hindernisse für mehr Rewilding sind der Platz und die Besitzverhältnisse. Die blühenden Landschaften müssen irgendwo entstehen können. Der größte Flächenverbraucher ist die Landwirtschaft. Wenn es uns in Zukunft gelingt, unsere Nahrung effizienter zu produzieren und unsere Ernährung auf Lebensmittel umzustellen, die weniger Fläche verbrauchen, dann können wir der Natur immer mehr Land zurückgeben. Ein weiteres Hindernis für die Renaturierung sind die Eigentumsverhältnisse der betroffenen Flächen. Hier müssen entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Quellen:
[2] https://researchfeatures.com/rewilding-conservation-cores-corridors-carnivores/
[3] https://zenodo.org/record/5101133
[4] https://environment.ec.europa.eu/strategy/biodiversity-strategy-2030_en
[5] Wilson, Edward O. (2016). Half-Earth: our planet’s fight for life. New York: Liveright Publishing Corporation, a division of W. W. Norton & Company. pp. 3, 213. ISBN 9781631490828. OCLC 933727398.