Atomkraft ist eine umstrittene Technologie. Einerseits kann Atomkraft große Mengen Energie verlässlich und emissionsfrei erzeugen. Aber bei Atomkraft entstehen auch radioaktive Abfälle, die schwer zu lagern oder gar für den Bau von Atomwaffen geeignet sind. Aber die Wissenschaft war auch hier nicht untätig. Inzwischen wird eine nächste Generation von Atomkraftwerken erforscht, die diese Probleme umgehen wollen. Der Dual Fluid Reaktor ist eine dieser Ideen für einen Reaktortyp.
Was soll der Dual Fluid Reaktor können?
Der Dual Fluid Reaktor die Vorteile der Atomkraft bringen ohne deren Nachteile – Die Erfinder versprechen in ihrem Whitepaper sehr selbstbewusst nicht weniger als die Dekarboniserung der gesamten Weltwirtschaft durch ihre Technologie:
Die Dual Fluid Technologie kann die verfügbare Energiemenge drastisch erhöhen. Sie beruht auf einem völlig neuen und patentierten Kernreaktor, der
https://dual-fluid.com/wp-content/uploads/2022/03/Dual-Fluid_Whitepaper_DE_screen.pdf
- die Kosten von Strom, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen
potenziell auf einen Bruchteil senkt,- die Grenzen des Wachstums erweitert und die Weltwirtschaft
dekarbonisiert,- Atommüll verbrennt, inhärent sicher und emissionsfrei ist.
Der Dual Fluid Reaktor soll nicht nur aufbereitetes Uran nutzen können, sondern alle Bestandteile des Urans, Abfallprodukte anderer Kernkraftwerke und sogar das auf der Erde häufig vorkommende Thorium. Der Reaktor soll komplett sicher sein und keine Abfallprodukte erzeugen, die zum Bau von Atomwaffen geeignet wären.
Was soll der Dual Fluid Reaktor besser machen als bisherige Atomkraftwerke?
Die namensgebende Innovation des Dual Fluid Reaktors liegt liegt in seinem Reaktorkern: Ein Kreislauf von flüssigem Brennstoff fließt in einem zweiten Kreislauf aus flüssigem Kühlmittel. Beides für sich genommen, sind dies keine neuen Technologien. Aber in der Kombination sollen sie viele Vorteile bringen.
Der Dual Fluid Reaktor soll bislang nicht nutzbare Uranisotope und auch Abfallprodukte konventioneller Kernkraftwerke verwenden
In Bezug auf die Kernreaktion handelt es sich bei dem Dual Fluid Reaktor um einen „schnellen Brüter“.
Moderne Atomkraftwerke verwenden in der Regel nur das Uran-Isotop 235, welches nur mit abgebremsten Neutronen gespalten werden kann. Uran-235 kommt in natürlichem Uran nur zu weniger als einem Prozent vor, daher muss der Brennstoff für moderne Atomreaktoren zunächst aufwändig aufbereitet werden und über 99% des Urans für die Energiegewinnung bleiben ungenutzt. Das wesentlich häufiger vorkommende Uran-238 kann nicht verwendet werden [2].
Aber dieses Uran-238 aber eine andere Eigenschaft, die man sich in schnellen Brütern zu Nutzen macht. Es kann mittels „schneller“ Neutronen, wie sie bei einer Kernspaltung entstehen, über einige Zwischenschritte zu Plutonium-239 umgewandelt werden. Und dieses Plutonium kann wiederum gespalten werden, wobei Energie frei wird und neue freie Neutronen, die dann wiederum die Kettenreaktion am Laufen halten und aus Uran-238 neuen Brennstoff „erbrüten“. Auf eine ähnliche Weise kann aus dem auf der Erde etwa 3x so häufig wie Uran vorkommenden Thorium das verwendbare Uran-233 erbrütet werden [2].
Durch die hohe Effizienz und die Verwendung häufig auf der Erde vorkommender Ressourcen könnte diese Technologie also die Menschheit über Jahrtausende mit Energie versorgen.
Was ist der Vorteil eines flüssigen Brennstoffs?
Das Reaktordesign des Dual Fluid Reaktors schließt eine unkontrollierte Temperaturerhöhung bis hin zur Katastrophe physikalisch aus. Je stärker sich der Brennstoff erhitzt, desto mehr dehnt er sich aus – das wiederum verlangsamt die Kettenreaktion. Und wenn die Temperatur dennoch weiter steigt, dann schmilzt ein Notfallschalter auf der Unterseite des Reaktorkerns und der flüssige Brennstoff fließt nach unten in sichere Tanks ab.
Häufige Störgründe bei konventionellen Kernkraftwerken kommen durch den hohen Druck bei Wasser als Kühlmittel oder die hohe Reaktivität des Kühlmittels bei flüssigem Natrium zustande. Der in dem Dual Fluid Reaktor eingesetzte Brennstoff und das eingesetzte Blei als Kühlmittel stehen nur unter einem geringen Druck und ist nicht sehr reaktiv. Daher ist mit weniger Störungen des Betriebs zu rechnen.
Der Reaktorkern des Dual Fluid Reaktors soll durchgehend laufen können. Es müssen keine neuen Brennstäbe eingesetzt werden, sondern verbrauchter Brennstoff wird aus dem Kreislauf abgelassen und neuer hinzugefügt.
Was ist der Vorteil von flüssigem Blei als Kühlmittel?
Der Dual Fluid Reaktor soll Blei als Kühlmittel verwenden. Hierdurch kann er kann eine hohe Betriebstemperatur bei niedrigem Druck erreichen. Im Gegensatz zu zum Beispiel Wasser als Kühlmittel kann man Blei ohne zu über 1000 Grad Celsius erhitzen, ohne dass es kocht. Das hat den Vorteil, dass die im Reaktorkern entstehende Energie effizient abgeführt und genutzt werden kann.
Außerdem reflektiert das Blei bei der Kernspaltung freiwerdende Neutronen zurück in den Brennstoff, was zu einer verstärkten Kettenreaktion und einer erhöhten Effizienz führt. Der Dual Fluid Reaktor soll so jedes spaltbare Material nutzen können, einschließlich aufbereitetem Atommüll [1].
Der Dual Fluid Reaktor sieht in seinem Design eine Recyclinganlage für die anfallenden radioaktiven Abfälle vor.
In dem Reaktordesign des Dual Fluid Reaktors ist die Behandlung von anfallenden radioaktiven Abfällen detailiert beschrieben. Anfallende radioaktiven Abfälle werden in Salze umgewandelt, verflüssigt und dann mittels Destillation in ihre Bestandteile aufgetrennt.
Noch verwendbare Teile werden wieder dem Brennstoff zugeführt, die anderen sollen direkt in dem Kraftwerk gelagert werden, bis sie geringer strahlen als Natururan. Und das ist bei den anfallenden Verbindungen bereits nach ca. 300 Jahren der Fall, so dass keine aufwändige Endlagerung notwendig ist.
In Kombination mit der Recyclinganlage kann der Dual Fluid Reaktor den Brennstoff vollständig nutzen, und die Gesamtheit der Reststoffe ist bereits nach wenigen hundert Jahren weniger radioaktiv als Natururan. Das klingt zwar immer noch recht lang, ist aber eine riesige Verbesserung gegenüber der sehr langen Halbwertszeit einiger Isotope, die bei konventionellen Atomkraftwerken anfallen.
Eine Endlagerung ist beim Dual Fluid Reaktor damit nicht mehr nötig. Er soll sogar bereits existierende langlebige Abfälle anderer Atomkraftwerke könnten nach Aufbereitung vollständig als Brennstoff nutzen können[1].
Die Anwendungsgebiete für die hohe Temperatur des Kühlmittels gehen über die reine Stromerzeugung hinaus.
Durch die Verwendung von Blei als Kühlmittel können sehr hohe Temperaturen um die 1000 Grad Celsius erreicht werden. Diese hohen Temperaturen können dann über Luft oder Wasserturbinen in elektrische Energie umgewandelt werden.
Wenn man schon ohnehin schon mal so viel Hitze hat, dann kann man die auch für all die Prozesse nutzen, die eine hohe Temperatur benötigen.
Ein solcher Prozess könnten die effiziente Spaltung von Wasser im der katalytischen Thermolyse zur Erzeugung von Wasserstoff sein. Oder die hohen Temperaturen werden zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet[3].
Ab wann können wir mit dieser Technik rechen?
Im Gegensatz zur Kernfusion ist Kernspaltung nach dem Dual Fluid Prinzip mit vorhandenen Materialen und heutigem Wissen realisierbar. Ein Prototyp soll noch in diesem Jahrzehnt einsatzbereit sein [1].
Aber ein wenig will ich den Optimismus bremsen. Atomkraftwerke haben eine lange Geschichte von außerplanmäßigen hohen Kosten und langen Bauzeiten. Und bevor nicht ein Prototyp verlässlich zum Laufen gebracht wurde, kann man auch noch nicht beurteilen, der Dual Fluid Reaktor auch hält was er verspricht.
Und erst wenn die Technik erfolgreich läuft, wird die Ausbreitung der Technologie beginnen. Unsere unmittelbaren Ziele zur Reduktion von Emissionen werden wir mit dieser Technologie nicht erreichen können. Aber hoffentlich wird diese, oder eine ähnliche Technologie, in ferner Zukunft nahezu unbegrenzte emissionsfreie Energie effizient erzeugen.
Und noch etwas erscheint an an diesem Konzept suspekt: Wenn der Dual Fluid Reaktor tatsächlich so effizient und richtungsweisend Energie erzeugen könnte, warum ist noch keine größere Firma aufgesprungen. Bisher scheinen die Erfinder noch Investoren zu suchen. Das könnte ein Hinweis sein, das die Technologie doch nicht so realistisch ist.
Was denkt Ihr vom Dual Fluid Reaktor? Haltet ihr das für eine Technik der Zukunft, oder denkt ihr, dass wir Menschen bis zu einer eventuellen Marktreife bereits basierend auf anderen Technologien die Klimakrise gelöst haben?
Quellen:
[1] https://dual-fluid.com/wp-content/uploads/2022/03/Dual-Fluid_Whitepaper_DE_screen.pdf
[2] https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/energie/kernenergie/schneller-brueter/
[3] http://admin.triumf.ca/docs/seminars/Sem5131253279-120-1.
[4] Materialien – Dual Fluid (dual-fluid.com)