In Diskussionen, wie wir den Klimawandel lösen können, wird immer wieder gern die Schuldfrage diskutiert. Hier gibt es verschiedene Ideen, wer eigentlich für die aktuelle Situation verantwortlich sei.
In diesem Artikel will ich der Sache ein wenig auf den Grund gehen? Welche Verantwortung trägt jeder Einzelne an dem Klimawandel?
Das ist ein etwas unüblicher Artikel von meiner Seite, ich habe mich etwas philosophisch betätigt und versucht mit Logik an die Frage heranzugehen, welche Treibhausgasemissionen man denn nun wem vorwerfen kann.
Für welchen Teil der Treibhausgasen sind Individuen verantwortlich?
Intuitiv erscheint es logisch, dass Individuen, also wir alle, als Kollektiv für die Gesamtheit an Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich sind. Denn wenn wir Menschen von heute auf morgen keine fossilen Brennstoffe mehr verwenden und keine Landnutzungsänderungen mehr vornehmen würden, dann würden auch unsere CO2-Emissionen sofort gegen Null gehen.
Denn die CO2 Emissionen entstehen bei der Befriedigung von Bedürfnissen von Individuen. Denn man braucht ja Nahrung, Wohnen, Strom, Bildung, Medizin, Freizeit, … Die CO2 Emissionen entstehen direkt aus dem der Herstellung des Konsumgutes, aber auch durch die indirekt benötigten Strukturen.
Wenn ich zum Beispiel eine Avocado konsumieren möchte, dann muss die irgendwo angebaut werden. Sie muss zu mir transportiert werden, mit Schiff und Lastwagen. Es muss ein Geschäft geben, wo ich die Avocado kaufen kann und Straßen, auf denen die Lastwagen fahren können. Es muss Werften und Automobilhersteller geben. Und Bürogebäude, in denen alles koordiniert wird. Und die Gebäude und Straßen und Lastwägen und Schiffe müssen gewartet, gereinigt, gefahren und kontrolliert werden.
Können Individuen auf alle CO2 Emissionen verzichten?
Ungünstigerweise würden Milliarden an Hunger, Krankheiten und Kriegen sterben und das Leben der Überlebenden hätte doch sehr an Qualität verloren, wenn wir von Heute auf Morgen auf jegliche CO2 Emissionen verzichten wollten.
Daher wäre es falsch, die Individuum für alle Emissionen zur Verantwortung zu ziehen. Denn wir brauchen aktuell noch ein paar Emissionen zum Überleben. Das führt aber natürlich zu weiteren Fragen, vor allem – Wie viel braucht man zum Überleben? Aber das soll erstmal nicht das Thema sein.
Das Individuum hat also keinen Einfluss auf Emissionen, die im Zusammenhang mit der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse anfallen.
Zusätzlich gibt es noch weitere Emissionen, auf die ein einzelnes Individuum keinen direkten Einfluss hat. Nämlich die Welt um es herum, die Straßen und Infrastrukturen, die Regierung, Polizei und Bildungssystem. All jene Dinge, die für die Allgemeinheit geschaffen sind.
Die im Zusammenhang mit den öffentlichen Services entstandenen Emissionen werden in der Regel einfach gleich aufgeteilt und auf alle Individuen verteilt. Der Einzelne kann nicht entscheiden, ob er diese Services möchte oder nicht.
Grob gesagt könnte man die direkten oder auch Konsum – CO2 Emissionen des Individuums also in die folgenden drei Kategorien unterteilen:
- Grundbedürfnissemissionen: für Nahrung, Wohnen, Wasser, notwendige Mobilität
- Infrastrukturemissionen: für das Allgemeingut und die Gesellschaft um einen herum
- Luxusemissionen: für alle bewussten Entscheidungen, die über Grundbedürfnisse hinausgehen
Also wie viele CO2 Emissionen braucht das Individuum?
Bei einem Rechner für meinen Ökologischen Fußabdruck habe ich mich als wildgewordener CO2 Sparer ohne jeglichem Luxus ausgegeben. Ich lebte mit weiteren 6 Mitbewohnern auf 30 m² Passivenergiehaus, lief überallhin zu Fuß, heizte nicht und ernährte mich ausschließlich von regionalen Pflanzen mit Biosiegel. Mein ökologischer Fußabdruck lag bei 3,23 Tonnen [1].
Das ist zwar nur halb so viel wie der globale Durchschnitt, aber immernoch mehr als 90% aller Menschen in Südost-Asien [2].
Die Menschen dort sind wahrscheinlich nicht alle Veganer und haben hoffentlich mitunter etwas bequemere Wohnumstände als mein CO2 sparendes Alter-Ego aus dem Fußabdruckrechner. Unsere deutschen „Infrastrukturemissionen“ sind offensichtlich recht hoch.
Zum Glück wies dieser Fußabdruckrechner auch die einzelnen Posten aus. Zu den „Grundbedürfnissemissionen“:
- ~0,75t CO2 für meine veganen Grundnahrungsmittel, wenn ich aber nicht nur saisonal mit Biosiegel kaufe und manchmal tierische Produkte esse, dann geht das ganz schnell auf 3,00t CO2 hoch.
- ~0,00t CO2 für Heizung und Warmwasser. Ich hatte halt ein pelletbetriebenes, 30m² großes Passivhaus angegeben. Realistisch sind hier eher 2,00t CO2 für alles.
- ~0,00t CO2 für Transport. Realistisch sind hier je nach Lebensumständen eher 1,00t CO2, wenn man z.B. viel Bahn fährt.
- ~0,50t CO2 für meine A++ Elekrogeräte und meinen Laptop und Handy
- ~0,75t CO2 für ein Mindestset an Konsumgütern
Und für die „Infrastrukturemissionen“:
- ~0,35t CO2 für meine Mitnutzung des Abwassernetzes
- ~1,00t CO2 für öffentliche Dienstleistungen
Wenn man diesem Fußabdruckrechner also Glauben schenkt, dann läge ein realistischer und moralisch vertretbarer (weil nicht allzu exzessiver) ökologischer Fußabdruck in Deutschland bei 8,60t CO2 pro Jahr. Mit der Nahrung lassen sich durch den Verzicht auf tierische Produkte ein Fußabdruck wie der globale Durchschnitt von ca. 6 Tonnen CO2 erreichen.
Eine Anmerkung zum ökologischen Fußabdruck
Der ökologische Fußabdruck wurde von British Petrol (BP) bekannt gemacht. Und zwar mit dem Ziel, die Schuld an CO2 Emissionen auf uns alle aufzuteilen. Gleichzeitig konnte sich BP dann selber als grüne Firma auf dem Weg, eine „low carbon diet“ zu machen, darstellen [3].
Aber wir dürfen nicht in die Falle tappen, dass wir jegliche Eigenverantwortung für CO2 Emissionen von uns zu weisen, nur weil ein Mineralölkonzern den ökologischen Fußabdruck bekannt gemacht hat. Wer der Erfinder des Fußabdrucks ist, kann ja keinen Einfluss darauf haben, ob es sich um eine passende Messeinheit handelt.
Wie viel dürfen wir denn noch emittieren?
Unsere durchschnittlichen deutschen CO2 Emissionen von 8 Tonnen jährlich oder auch die weltweiten Durchschnittsemissionen von 6 Tonnen CO2 werden bei weitem nicht reichen, um gesetzte Klimaziele zu erreichen.
Um eine Chance zu haben, die Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken, dürfen im Jahre 2030 nicht mehr als 2,5 Tonnen CO2 pro Person weltweit ausgestoßen werden [4].
Wir müssen also viel weniger CO2 ausstoßen wie bisher. Aber das wird schwer, denn wie wir weiter oben gesehen haben, liegt ein normaler Lebenswandel bei ca. 8 Tonnen CO2 und selbst ohne Auto und Vegan sind 2,5 Tonnen CO2 Emissionen pro Jahr nicht erreichbar.
Wie können wir unsere CO2 Emissionen verringern?
Die KAYA-Identität ist eine Formel mit der sich CO2 Emissionen erklären lassen. Eine vereinfachte Form dieser Formel beschreibt CO2 Emissionen als das Produkt aus Anzahl der Menschen, Konsum pro Mensch, Energieverbrauch pro Konsum und CO2 Emissionen pro erzeugter Energie:
P x S x E x C = CO2 Emissionen
Das „P“ steht für die Bevölkerung. „S“ steht für die durch die Bevölkerung konsumierten Services, „E“ für die für die Services benötigte Energie und „C“ für die CO2 Emissionen für die Energie.
In dieser Formel stellt also unser Konsum den Faktor S dar. Durch Verzicht und eine Verringerung des Konsums lässt sich S verkleinern.
Aber das ist nicht der einzige Faktor, mit dem eine Verringerung möglich ist:
Wenn die konsumierten Services effizienter hergestellt oder die benötigte Energie mit weniger Emissionen verbunden ist, dann nehmen die Gesamtemissionen ebenfalls ab.
Unter anderem ist es so zu erklären, dass ein durchschnittlicher Franzose nur etwa die Hälfte der CO2 Emissionen eines durchschnittlichen Deutschen hat [5]: Die Französische Energie wird mit einem Bruchteil der deutschen Emissionen vor allem durch Kernkraft statt durch Kohle erzeugt. Der Faktor C der Gleichung ist viel geringer. Ein Franzose emittiert für den selben Service also weniger.
Aber für die meisten Individuen ist es nicht so einfach, auf die Faktoren E und C Einfluss zu nehmen.
Die Sache mit der Entscheidungsgewalt:
Individuen sind nicht nur als Konsumenten für CO2 Emissionen verantwortlich.
Ein Kollektiv wie ein Konzern oder ein Staat könnte Maßnahmen treffen, die dafür sorgen, dass die CO2 Emissionen für alle Individuen abnehmen. Ein Service könnte effizienter hergestellt oder gar nicht mehr angeboten werden oder die benötigte Energie könnte sauberer hergestellt werden.
Ein solches Kollektiv besteht letztendlich aus Individuen. Einige steuern diese Kollektive und haben damit auch einen erhöhten Einfluss darauf, wie das Kollektiv seine Services produziert.
Aber auch wenn einzelne Individuen mehr an Entscheidungsgewalt haben, so agiert doch niemand in dieser Welt völlig losgelöst von seiner Umwelt. Andere Individuen beeinflussen sich auf auf vielen verschiedenen Wegen: Sie sind einander Vorbilder, Orientierung oder abschreckendes Beispiel. Sie wollen die Erwartungen voneinander erfüllen und treffen Annahmen, was andere Individuen denn gerne wollen. Wir Menschen sind eben sehr soziale Wesen.
Daher dient selbst der mächtigste Politiker oder der einflussreichste CEO letztendlich anderen Individuen: den Wählern, dem Aufsichtsrat, den Kunden oder den Mitarbeitern.
Und das nimmt einen Teil der immensen Verantwortung von einzelnen Individuen ab und teilt ihn in unterschiedlich großen Paketen auf andere Individuen auf.
Beispielsweise kann sich ein Kunde eines Luxusproduktes meiner Meinung nach nicht darauf berufen, dass es in der Verantwortung des CEOs der Luxusfirma liegt, wenn das Produkt angeboten oder konsumiert wird. Immerhin sind es die Kunden, die mit ihrem Geldbeutel kommunizieren, welche Services angeboten werden sollen.
Sind reiche Individuen auch Individuen?
Eine Wohlfühlgeschichte für die einzelnen Individuen geht in etwa so: „Die reichsten 10% emittieren mehr als 70% aller Treibhausgase, mit ihren Privatjets und Villen und so.“ Dann weiß das Individuum ja schon wer schuldig ist und was zu tun ist. Man muss nur den Kapitalismus abschaffen und schon hat man auch keine Treibhausgasemissionen mehr.
Das ist natürlich Unfug. Der wahre Kern der Geschichte liegt darin, dass reiche Individuen im Schnitt mehr konsumieren und auch über mehr Entscheidungsgewalt verfügen, so dass sie mehr Verantwortung für die Treibhausgasemissionen tragen.
Die Statistik mit den 70% der Treibhausgasemissionen entsteht tatsächlich kaum durch zusätzlichen Konsum, sondern vor allem durch den Besitz von Kapital: Reiche Individuen besitzen mehr Anteile an Konzernen. Und die Emissionen der Konzerne werden dementsprechend auf die Besitzer umgelegt.
Es ist aber höchst fragwürdig, ob es sinnvoll ist, einfach die Anteile der Konzern-Emissionen auf die Besitzer umzulegen. Dafür spricht, dass Anteilseigner an Konzernen einen erhöhten Einfluss auf den Konzern haben und daher auch mehr Entscheidungsgewalt ausüben können.
Alternativ könnte man aber auch die Emissionen der Konzerne auf die Konsumenten umlegen. Immerhin nutzen die Besitzer des Konzerns die Produkte nicht selber, sondern stellen sie anderen Individuen zur Verfügung.
Fazit:
Die Frage, wer welche Verantwortung für unsere CO2 Emissionen trägt, ist nicht leicht zu beantworten.
Man könnte die Verantwortung nach der individuellen Möglichkeit aufteilen, die CO2 Emissionen zu beeinflussen.
Individuen wie Du und Ich treffen täglich Entscheidungen, was wir konsumieren wollen. Aus dem Konsum ergeben sich CO2 Emissionen. Und die Emissionen für den Konsum kann man dem Individuum durchaus vorhalten. Gerade wenn es sich um unnötigen Luxuskonsum handelt.
Allerdings können wir Individuen in der Regel nur indirekt darüber entscheiden, wie groß die Emissionen sind, die durch den Konsum entstehen.
Manche Individuen, zum Beispiel Reiche oder Politiker, haben einen größeren Einfluss und damit auch eine größere Verantwortung. Sie könnten ja zum Beispiel Produkte, Services oder Energie mit weniger Emissionen herstellen lassen.
Aber das bedeutet nicht, dass DU als nicht so einflussreiches Individuum keine Chance hättest, auch auf vielen verschiedenen Wegen Einfluss zu nehmen. Denn jeder von uns trägt eine Mitverantwortung dafür, wie effizient Services hergestellt werden und wie die Energie entsteht, die wir nutzen. Dieser Einfluss ist vielfältig, zum Beispiel kann jeder von uns:
- An dem gesellschaflichen Diskurs teilnehmen,
- Finanziell Einfluss nehmen, zum Beispiel durch Kaufentscheidungen oder Spenden
- Durch die eigene Arbeit Einfluss nehmen,
- Durch das eigene Leben Vorbild sein und Werte vermitteln
- Lösungen entwickeln und bekannt machen
Und in der Summe ist dieser Einfluss ist viel erheblicher, als die jeweils individuellen Konsumentscheidungen. Also – Weniger Konsumieren ist nur ein Teil dessen, was ein Individuum tun kann. Viel wichtiger ist aber, wie es die Gesellschaft beeinflusst.
Ein wunderschönes Zitat zum Abschluss:
„We don’t need more people living marginally greener lifestyles. We need thousands of people, millions of people, swarming out of their lifestyles and leading worldchanging lives: practicing strategic consumption, sure, but also inventing new answers, changing their companies (or quitting their jobs and starting better companies), running for office, writing books and shooting films, teaching, protesting, investing in change, mobilizing their communities, redesigning their cities, getting up off the couch and going to the meeting, and in every other way making it happen. It is time to live as though the day has come, because it has: tomorrow is too late.“
ALEX STEFFEN
Quellen:
[1] https://www.wwf.de/themen-projekte/klima-energie/wwf-klimarechner/
[2] https://www.nature.com/articles/s41893-022-00955-z
[4] https://unfccc.int/sites/default/files/cop18__mw_emissions_gap_report.pdf