In den Diskussionen über den Klimawandel wird viel vorhergesagt, wie sich denn die Welt in Zukunft ändern wird. Es fallen Sätze wie: „Wenn wir nicht bis 2030 aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, dann wird sich die Welt bis in soundso vielen Jahren um 4 Grad erhöhen“. Mit der Kaya-Identität lassen sich solche Vorhersagen treffen.
Hierbei handelt es sich um eine recht nachvollziehbare Formel, die nach ihrem Erfinder, dem japanischen Ökonomen Yoichi Kaya benannt wurde. Man kann diese Formel nutzen, um die CO2 Emissionen der Menschheit zu erklären und zukünftige Emissionen zu modellieren. Man kann mit ihr auch Prognosen treffen, welche Maßnahmen welche Wirkung in Zukunft entfalten können.
Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zum Beispiel nutzt die Kaya-Identität, um Szenarien für zukünftige CO2 Emissionen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen vorherzusagen [1].
Was besagt die Kaya-Identität?
Die mathematische Formel liest sich folgendermaßen:
Hierbei steht „F“ für die menschlichen CO2 Emissionen. „P“ steht für die Weltbevölkerung, „G“ für produzierte Güter (Bruttoinlandsprodukt) und „E“ für die benötigte Energie.
Also besagt die Formel, dass sich unser CO2-Ausstoß aus dem Produkt der folgenden vier Faktoren errechnet:
- der Menge der Menschen „P“,
- dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Mensch „G/P“,
- der benötigte Energie pro Einheit Bruttoinlandsprodukt „E/G“,
- den CO2-Emissionen pro Einheit Energie „F/E“
Durch diese Aufteilung ergeben sich also konkrete Ansatzpunkte, wie wir unsere Emissionen reduzieren könnten. Außerdem lassen sich alle einzelnen Faktoren betrachten um die zukünftigen Entwicklungen vorherzusagen [2].
Wie entwickeln sich die einzelnen Faktoren der Kaya-Identität?
Also sollten wir einen Blick in die Entwicklung der einzelnen Faktoren werfen, um festzustellen, wo unsere Probleme liegen [3]:
Wie man in dem oben abgebildeten Diagramm sehen kann, steigen die CO2 Emissionen Jahr zu Jahr an. Und verantwortlich dafür sind nach der Kaya-Identität der Anstieg der Weltbevölkerung und der Anstieg des Wohlstandes der Weltbevölkerung. Demgegenüber wird immer weniger Energie pro Einheit Wohlstand benötigt (Energieeffizienz) und auch der CO2 Ausstoß pro Einheit Energie sinkt langsam ab. Die beiden sinkenden Faktoren sinken weniger schnell ab, als die beiden steigenden Faktoren ansteigen.
Um die menschlichen CO2 Emissionen zu reduzieren, müssen wir also auf die einzelnen Faktoren einwirken, so dass diese kleiner werden und das Gesamtprodukt ebenfalls abnimmt. Politische Programme zur Klimaschutz tun häufig genau dies.
Natürlich ist es schwierig, die zukünftige Entwicklung vorherzusagen, deswegen gibt es auch so viele unterschiedliche Szenarien. Aber dennoch lohnt es sich, sich anzuschauen, wie sich die einzelnen Faktoren entwickeln könnten.
Wie wird sich die Weltbevölkerung in Zukunft entwickeln?
Die Weltbevölkerung wird in den kommenden Jahren weiter steigen, darin sind sich die Prognosen einig. Aber das Wachstum verlangsamt sich und in vielen Ländern stagniert die Bevölkerung. Deswegen nimmt man an, dass die Weltbevölkerung noch in diesem Jahrhundert ein Maximum erreicht und dann stagniert oder sogar abnimmt.
Insgesamt sagt die UN voraus, dass die Weltbevölkerung bis 2080 mit ca. 10,4 Milliarden Menschen ihr Maximum erreicht. Ab dann wird sich die Bevölkerungszahl stabilisieren oder leicht abnehmen [4].
Das ist natürlich gut für die Menschen, wenn sie auf der Erde leben können, aber für die gesamten CO2 Emissionen nach Leseart der Kaya-identität bedeutet dies in Zukunft einen Anstieg.
Wie wird sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf entwickeln?
Hier macht zumindest ein Blick in die Vergangenheit sehr optimistisch, das GDP pro Kopf hat kontinuierlich zugenommen und wenn alles gut läuft, dann wird sich dieser Trend fortsetzen. Immerhin ist das BIP mit all solch schönen Dingen wie Lebenserwartung [5], Menschenrechten [6] und sogar Glücklichkeit [7] korreliert.
Mit immer weiter zunehmendem Wohlstand nehmen aber all diese Dinge immer weniger zu und der Wohlstand ist weltweit sehr ungleich verteilt. Deswegen gibt es Stimmen, die meinen, dass der Wohlstand in den reichen Regionen abnehmen müsse. Ob dem so ist, dass ist Stoff für weitere Diskussionen. Aber eines steht fest: Es ist gut, wenn der Wohlstand insgesamt und weltweit zunimmt, auch wenn dies ein Faktor für mehr CO2 Emissionen ist.
Wie wird sich der Energieverbrauch pro Einheit Wohlstand entwickeln?
Der Energieverbrauch pro Einheit Wohlstand hat in der Vergangenheit kontinuierlich abgenommen und wird auch in Zukunft hoffentlich kontinuierlich reduziert werden. Denn diese kontinuierliche Erhöhung der Effizienz ist auch der zentrale Grund, weshalb trotz steigender Bevölkerung und rapide steigendem Wohlstand die CO2 Emissionen nur langsam ansteigen.
In einigen Bereichen kann immer mehr an Wohlstand mit immer weniger Energie erzeugt werden, zum Beispiel durch immer leistungsfähigere Computertechnologien. In anderen Bereichen gibt es physikalische Grenzen, die eine weitere Steigerung der Effizienz voraussichtlich unmöglich machen.
Also wird der Energieverbrauch pro Einheit Wohlstand auch weiterhin abnehmen. Aber er wird niemals Null erreichen.
Wie werden sich die CO2 Emissionen pro Einheit Energie verändern?
Die CO2 Emissionen pro erzeugter Einheit Energie lassen sich durch effizientere Kraftwerke (Insbesondere Gas statt Kohle) sowie den Umstieg auf erneuerbare Energien und Atomkraft reduzieren. In der Vergangenheit wurde Energie weltweit immer effizienter hergestellt, allerdings nur in sehr kleinen Schritten.
Der Ausbau von erneuerbaren Energien geht voran, die positive Wirkung auf die Reduktion der CO2 Emissionen wird aber etwas durch einen Rückgang der Atomkraft ausgeglichen [8].
Durch technologischen Fortschritt sind erneuerbare Energien deutlich günstiger geworden und können am Markt bestehen. Zudem bekommt der Klimawandel als Problem zur Zeit viel Aufmerksamkeit, so dass erneuerbare Energien auch politisch gefördert werden. Daher ist in Zukunft mit einer weiteren schnellen Zunahme erneuerbarer Energien zu rechnen.
Wie können wir auf Null CO2 Emissionen kommen?
Eine Reduktion von Faktoren der Kaya-Identität führt zu einer Reduktion von CO2 Emissionen. Die Gleichung kann aber niemals auf Null kommen, ohne dass mindestens einer der Faktoren Null oder negativ wird. Welcher Faktor sollte also Null erreichen?
Die Bevölkerung sollte offensichtlich hoffentlich nicht Null erreichen (oder auch nur reduziert werden). Wie weiter oben geschrieben wird die Bevölkerung eher weiter zunehmen und das ist erstmal gut so. Die anderen Faktoren müssen also auch in Zukunft den Anstieg der Bevölkerung ausgleichen.
Auch das BIP pro Kopf, also der Wohlstand, ist kein Kandidat, um gegen Null reduziert zu werden. Vielleicht könnte er an einigen Teilen der Welt etwas niedriger sein, aber in der Summe bleibt zu hoffen, dass der Wohlstand mit allen seinen Vorteilen nicht abnimmt.
Die Energieeffizienz der Wohlstandserzeugung wäre einer der beiden Kandidaten, um gegen Null zu gehen. Dies ist aber extrem unwahrscheinlich, denn viele Elemente des Wohlstandes erfordern eben Energie: Selbst die sparsamste Waschmaschine wird immernoch Energie verbrauchen.
Damit bleibt nur der CO2 Ausstoß pro erzeugter Einheit Energie übrig, den es gegen Null zu reduzieren gilt. Und dies ist ein absolut erreichbares Ziel. Mit erneuerbaren Energien und Atomkraft haben wir bereits die benötigten Technologien, um Energie CO2 frei zu erzeugen.
Es gilt also die entsprechenden Technologien flächendeckend auszurollen, damit diese zunehmend die Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen ersetzen. Gleichzeitig ist die Wissenschaft gefragt, die sauberen Technologien besser, sicherer und verfügbarer zu machen.
Die anderen 3 Faktoren sollten wir aber auch nicht aus den Augen lassen. Wenn wir Wohlstand auch mit weniger Energie herstellen können, dann brauchen wir weniger Energie oder können aus der verfügbaren sauberen Energie mehr herausholen.
Ist die Kaya-Identität die Formel, die Bill Gates immer wieder zitiert?
Eine leicht abgewandelte Form der Kaya-Identität wurde von Bill Gates bekannt gemacht [x]:
P x S x E x C = CO2 Emissionen
Auch in dieser Formel steht das „P“ für die Bevölkerung. „S“ steht für die durch die Bevölkerung konsumierten Services, „E“ für die für die Services benötigte Energie und „C“ für die CO2 Emissionen für die Energie [10].
Also fast die gleiche Formel, mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass von Services statt dem Bruttoinlandsproduktes gesprochen wird. Das hat den Vorteil, dass es all die Probleme umgeht, die Kritiker mit dem Bruttoinlandsprodukt haben, zum Beispiel [11]:
- Das BIP soll den Finanzsektor zu groß einschätzen,
- durch internationalen Handel verzerrt werden
- und durch seinen Fokus auf Geld keine unbezahlten Leistungen mit einbeziehen
Wenn man also statt des BIP pro Kopf den abstrakten Begriff Services verwendet, dann kann man besser verdeutlichen, um was es geht: Wenn ein Service, der Energie benötigt, konsumiert wird, dann fallen entsprechende Emissionen an. Dabei ist egal, ob der Service in als Schwarzarbeit, im Finanzsektor oder durch eine internationale Firma global erbracht wird.
Allerdings ist natürlich ein solcher „Service“ ein schwammiger Begriff, den man nicht messen kann. Damit kann Bill Gates Formel eben nicht zur Vorhersage von CO2 Emissionen in der Zukunft gebraucht werden und es kann auch nicht genau bestimmt werden, welche Maßnahmen Erfolg zeigen.
Also ist Bill Gates Formel vor allem ein nützliches Tool, um die Zusammenhänge der Klimaerwärmung darzulegen. Wenn tatsächliche Modellierungen vorgenommen werden sollen, dann sollte man eher auf die Kaya-Identität zurückgreifen.
Was sollte ich mir aus diesem Artikel merken:
Die Kaya-Identität ist eine nützliche Formel, mit der sich CO2 Emissionen erklären und vorhersagen lassen. Aber man mit der Formel auch notwendige Maßnahmen bestimmen, um von unseren 50 Gigatonnen CO2 Emissionen auf Null zu kommen.
Und dabei wird uns eine erhöhte Effizienz oder eine schrumpfende Wirtschaft nicht ausreichen, denn am Ende bleibt uns nur eines übrig: Wir müssen unsere Energie ohne CO2 Emissionen erzeugen.
Quellen:
[1] emissions_scenarios-1.pdf (ipcc.ch)
[2] Freistetters Formelwelt: Die Lösung des Klimaproblems – Spektrum der Wissenschaft
[3] https://ourworldindata.org/grapher/kaya-identity-co2
[5] https://ourworldindata.org/life-expectancy
[6] https://ourworldindata.org/grapher/human-rights-vs-gdp-per-capita
[7] https://ourworldindata.org/happiness-and-life-satisfaction
[8] https://ourworldindata.org/decarbonizing-energy-progress
[10] Bill Gates Just Released The Math Formula That Will Solve Climate Change (forbes.com)