In dem Buch „Less is More“ stellt Jason Hickel die Probleme des Kapitalismus dar und schlägt Lösungsansätze vor. Mir wurde das Buch als ein Standardwerk der Degrowth Ideologie empfohlen, darum dachte ich mir, dass ich es mal lese und zusammenfasse, damit Ihr das nicht tun müsst.
Was versteht der Autor unter Kapitalismus?
Für das gesamte Buch definiert Hickel den Kapitalismus als ein System, das ständig exponentiell wachsen muss oder in eine Krise gerät. Es dient der Anhäufung von Reichtum bei einigen wenigen und schafft künstliche Knappheit bei allen anderen.
Und so sieht Hickel im Kapitalismus den Hauptverursacher von Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung. Schließlich muss ein solches System, das immer weiter wächst, irgendwann die vorhandenen Ressourcen verbrauchen. Innovationen oder neue Technologien können diesen Zeitpunkt nur hinauszögern, aber exponentielles Wachstum führt immer irgendwann zum Kollaps. Die Möglichkeit, diesen Zusammenhang zu entkoppeln, tut Hickel als wissenschaftlich widerlegtes „Hirngespinst“ ab (ist sie nicht…).
Ein solches System klingt natürlich absolut furchtbar und es stellt sich die Frage, wie es sich durchsetzen konnte, so dass wir heute im Kapitalismus leben. Hickel interpretiert hierzu die Geschichte Europas der letzen 500 Jahre und zeigt auf, dass sich der Kapitalismus nicht friedlich durchgesetzt hat, sondern in einer Reihe von Kriegen und Gewalttaten von einer Minderheit der Bevölkerung aufgezwungen wurde.
Inzwischen ist der Kapitalismus so in den Köpfen der Menschen verankert, dass ein anderes System kaum vorstellbar erscheint. Aber, so der Appell von Hickel, so wie es Innovationen von Technologien gibt, warum sollte es nicht auch Innovationen von Gesellschaftssystemen geben?
Wie könnte man diese Entwicklungen aufhalten?
Um zu untersuchen, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte, blickt Hickel vor allem nach Costa Rica. Dort liegt die Bevölkerung in allen Kategorien des glücklichen Lebens weltweit über dem Durchschnitt. Und das, obwohl das Bruttoinlandsprodukt Costa Ricas relativ gering ist.
Hickel folgert daraus, dass jedes zusätzlich produzierte Produkt oder Dienstleistung überflüssig ist. Schließlich könne man auch mit weniger BIP ein ebenso glückliches Leben führen.
Er betont aber, dass es ihm nicht darum geht, den Menschen etwas wegzunehmen oder vorzuenthalten. Vielmehr wird ein großer Teil des BIP für wenige Reiche erwirtschaftet. Wenn es besser verteilt wird, bleibt am Ende für (fast) alle mehr übrig.
Außerdem kann mehr Zufriedenheit für weniger BIP erreicht werden, wenn mehr Dienstleistungen öffentlich verfügbar sind. Länder mit funktionierenden Sozialsystemen und öffentlicher Infrastruktur haben die zufriedensten Bürger.
Daher stellt Hickel die folgenden zentralen Thesen auf:
- Jeder Euro, den man den Reichen nimmt ist Klimaschutz.
- Und Gerechtigkeit ist das Gegenmittel gegen den Kapitalismus und damit auch gegen den Klimawandel.
Um also die zerstörerischen Auswirkungen des Kapitalismus aufzuhalten, sollten wir nicht länger das Wirtschaftswachstum in den Mittelpunkt stellen. Statt dem Bruttoinlandsprodukt sollten wir lieber andere Metriken maximieren, die mehr über den den Erfolg einer Gesellschaft aussagen. Gleichzeitig sollen die verfügbaren Ressourcen innerhalb der planetaren Grenzen so eingesetzt werden, dass sie möglichst vielen Menschen ein möglichst gutes Leben ermöglicht.
Welche Maßnahmen werden empfohlen?
Und nach diesen Thesen richten sich dann die Maßnahmen, die Hickel empfiehlt:
- Planned Obsolescence verbieten: In bestimmten Bereichen ist es üblich, dass Produkte von Anfang an so geplant werden, dass sie nach einiger Zeit kaputt gehen oder nicht mehr nutzbar sind. Das hilft letztlich nur den Verkäufern, aber erschafft weder Wohlstand, noch ist es akzeptabel gegenüber der Umwelt. Möglichkeiten könnten hier auch Leasingmodelle, Rights to repair oder verlängerte Garantien sein.
- Werbung einschränken: Durch manipulative Werbung kaufen Menschen Dinge, die sie gar nicht benötigen. Sie werden also umsonst produziert, nur um die Verkaufszahlen zu erhöhen.
- Lebensmittelverschwendung beenden: Fast die Hälfte der produzierten Nahrung wird weggeworfen. Hickel zieht den Schluss, dass man die Hälfte der landwirschaftlichen Fläche renaturieren könne, wenn wir die Lebensmittelverschwendung beenden. Ganz so einfach ist es wohl nicht, da die Lebensmittel nach dem wegwerfen ja noch anderweitig verwendet werden und ein Wegwerfen nicht immer vermeidbar ist, wie George Monbiot in Regenesis verständlich darlegt. Aber Lebensmittelverschwendung muss nicht sein.
- Den Konsum limitieren: Bereiche der Wirtschaft, die schädlich für die Umwelt oder die Gesellschaft sind, sollen abgeschafft oder besonders stark zurückgefahren werden.
- Weniger produzieren: Wenn alle haben, was sie brauchen, dann sollte jeder einzelne auch weniger arbeiten. Dann produzieren wir auch weniger sinnlose Dinge und verschwenden so weniger Ressourcen. Menschen mit mehr Freizeit konsumieren weniger und nehmen weniger zeitsparende Services in Anspruch. Stattdessen können sie Hobbies nachgehen, sich für die Gesellschaft einsetzen oder sich um andere kümmern – alles ohne Ressourcen zu verbrauchen. Ein Universal Basic Income könnte diese geringere Produktion ermöglichen.
- Kapitalismus abschaffen: Jetzt geht Hickel all in. Das Universal Basic Income kann finanziert werden, indem man Reiche viel stärker besteuert. Und zwar deren Einkommen und Besitz. Das erschafft dann auch mehr Gleichheit, so dass die vorhandenen Ressourcen besser verteilt werden können. Mit Maximalgehältern und dem Ausbau öffentlicher Güter, Schuldenerlass und schließlich dem Abschaffen von Zinsen wird Hickels ökosozialistischer Traum perfekt.
- Demokratie stärken: Hickel geht davon aus, dass etwa zwei Drittel der Menschen sich eine nachhaltige Gesellschaft wünschen. Das verbleibende Drittel muss im Schach gehalten werden. Wie genau das aussehen soll, dass beschreibt er nicht, aber es soll auf jeden Fall demokratisch sein.
Wie lässt sich Degrowth (nach Jason Hickel) zusammenfassen?
Der Kapitalismus ist für Hickel die Wurzel allen Übels. Unter Kapitalismus versteht er ein Wirtschaftssystem, das immer weiter wachsen muss und dabei für die meisten Menschen Armut und Mangel bedeutet. Wachstum ist für Hickel untrennbar mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt verbunden. Fortschritt und Innovation können dem nicht entgegenwirken. Durch den Kapitalismus haben wir Menschen uns so weit von der Natur entfernt, dass wir uns nicht mehr als Teil von ihr sehen.
Das Einzige, was hilft, ist eine Notbremsung, bei der wir nicht mehr aus der Natur entnehmen oder die Natur nicht mehr zerstören, als sie sich regenerieren kann. Das muss die Menschheit aber nicht in Armut stürzen, denn wenn wir die vorhandenen Ressourcen besser nutzen und besser verteilen, können wir alle im Überfluss leben. Und in diesem Überfluss gibt es keinen Grund mehr, dass die Wirtschaft weiter wächst. Jeder hat, was er braucht und ist glücklich. Die Menschheit kann wieder eine gesunde und glückliche Rolle als Teil der Natur spielen.
Was ich an dem Buch kritisieren muss
Das Buch ist rhetorisch sehr gut geschrieben, beim Lesen schlug mir mein revolutionäres Herz bis zum Hals vor lauter Lust auf die Degrowth-Zukunft. Hinter all der polemischen Sprache stehen die Ideen des Buches jedoch teilweise auf sehr dünnen theoretischen Füßen.
Besonders übel ist Hickels liebstes Stilmittel aufgefallen: der „Appeal to Authorities“. In sehr kurzen Abständen beginnt er Sätze mit durchaus fragwürdigen Thesen mit einem lapidaren „Wissenschaftler sind sich einig, dass…“. So seien sich die Wissenschaftler beispielsweise einig, dass nur eine Schrumpfung der Wirtschaft den Klimawandel aufhalten könne oder dass der Erhalt der Biodiversität ohne eine regenerative Landwirtschaft nicht möglich sei.
Darüber hinaus scheint das ganze Buch gegen einen gigantischen Strohmann zu Felde zu ziehen: Hickel definiert den Kapitalismus als ein System, das sich vor allem durch den Zwang zu ständigem Wachstum in allen Bereichen auszeichnet. Das scheint weder eine allgemein akzeptierte Definition zu sein, noch ist sie sachlich richtig. Im Kapitalismus bestimmen Angebot und Nachfrage, welche Bereiche wachsen und welche nicht. Natürlich können einzelne Bereiche schrumpfen, ohne dass es zu einer Krise kommt.
Besonders unangenehm ist mir eine Argumentationskette aufgefallen, die Hickel im letzten Kapitel des Buches versucht. In einer Studie sprachen sich zwei Drittel der Befragten für eine nachhaltige Politik aus. Daraus folgert Hickel, dass sich die Bürger in einer funktionierenden Demokratie für Nachhaltigkeit einsetzen. Da unsere Gesellschaft aber im Moment kapitalistisch ausgerichtet ist, kann sie wegen ihres Wachstumszwangs nicht nachhaltig sein, also muss der Kapitalismus undemokratisch sein. Darauf muss man erst einmal kommen. ….
Fazit:
Bei dem Buch „Less is More“ von Jason Hickel war ich mir nicht sicher, ob die dargestellten Fakten alle richtig sind. Aber das Buch gibt auf jeden Fall Denkanstöße. Auch die vorgeschlagenen Lösungsansätze und Maßnahmen sind absolut lesenswert.
Und spannend geschrieben ist das Buch allemal. Als eines der Standardwerke zum Thema „Degrowth“ würde ich es jedem Interessierten als Einstieg empfehlen.